Der Schrank und die Schürze

Im Dezember 1994 brachte mir der Briefträger einen dicken Umschlag aus, wie man dem Poststempel entnehmen konnte, Bielefeld. Ja, damals stand noch nicht "Briefzentrum" im Stempel, man konnte noch auf einen Blick den Herkunftsort einer Sendung erfahren. Der Umschlag enthielt ein Konvolut von Zeichnungen, die auf bereits veröffentlichten Texten von mir basierten. Der Zeichner, ein gewisser Stephan Katz, fragte an, ob ich etwas gegen die Zeichnungen einzuwenden hätte. Ich schrieb ihm, da mir die Zeichnungen gefielen, er solle nur so weitermachen.
Da ich für das Medium Cartoon / Witzzeichnung stets eine zwar keineswegs allumfassende, aber grundsätzliche Sympathie empfunden hatte, sandte ich ihm bald auch einige Skizzen und Skripte zur allfälligen Verwertung. Diese Arbeitsweise war mir nicht völlig neu, da ich mich zuvor schon gelegentlich mit dem Zeichner Marcus Rattelschneck zusammengetan hatte.

Am 27.01.1996 geschah Folgendes: Ich hatte im Ausstellungsraum in der Hamburger Karolinenstraße eine Art Wegwerf-Kunstausstellung, zu der mich der Betreiber der Galerie, der Maler "3000", überredet hatte. Was ich ausstellte, waren 25 relativ großformatig abgezogene Fotos von Menschen, die bekleidet mit einer Schürze, auf der "Spanien" zu lesen war, vor einem monströsen Renaissance-Schrank standen, welcher in meiner damaligen Hamburger Wohnung Platz fraß. Die Vermieterin wollte und konnte ihn nicht entfernen (zu schwer).
Die Fotos hatte ich in einer selbstbewusst schwankenden Linie an den Galeriewänden befestigt. Zu der speziellen Schiefheit hatte mich mein Freund Tex Rubinowitz angeregt. Auch die Schürze selbst war ausgestellt, doch im Verlauf der Vernissage wurde sie Gegenstand eines äußerst subkulturellen Kunstraubes. 3000 sagte, er wisse den Namen und die Adresse des Diebes, und wenn ich Wert darauf lege, würde er mir beides mitteilen. Doch ich war froh, dass die Schürze weg war.

Ein anderer Besucher der Ausstellung, ein Mann mit kunstvoll aufgetürmten Wurstlocken, die erst im Juni 1997 abgeschnitten werden sollten, was damals auch der Kühnste nicht erahnen konnte, kam auf mich zu und sagte: "Guten Tag, ich bin Stephan Katz". Ich erwiderte: "Schön, so lernen wir uns endlich mal kennen". Seitdem verbindet uns eine harmonische und produktive Freundschaft, aus der bislang fünfzehn Comicbände hervorgingen.

Max Goldt, Januar 2021



Stephan Katz gesehen durch die Brille von Prager bzw. Budapester Straßenkarikaturisten:


Hier sieht man, wie ein Zeichner seinen altehrwürdigen Duopartner zeichnet (Video):

Max Goldt gesehen durch die Brille von Prager bzw. Budapester Straßenkarikaturisten:


Katz streichelt 1996 einen Eimsbütteler Igel. Eine Dreadlocke ragt in die zärtliche Szene hinein.


Eine Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT, fotografiert von dem Comiczeichner Stephan Katz





Ein mit 687 Einzelnachweisen "zugepflasterter" Wikipedia-Eintrag über Katz & Goldt (Screenshot 09.03.2023)